Thomas Kleinschmitt • Tobias Ott • Gudrun Raber-Plaichinger • Georg Degenhardt

Foto: Stefan Zenzmaier

 

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Kosmische Hausmusik


Eigentlich machen deneb Hausmusik, halt ohne Einschnürungen in Tradition, sondern mit einem weiten, tiefen Wurzelgeflecht vierer MusikerInnen. Es gibt bei deneb keine Proben, sondern Sessions – musikalisches Hier und Jetzt, anknüpfend an frühere Sessions und sie weitermodulierend. Gemeinsames Instrumentarium aller: Loops.
Gudrun Raber-Plaichinger hat Geige und Stimme als analog-digitales Interface. Gute Basis für repetitive Muster sind ihre Konzerte mit Barockgeige oder ihre Zusammenarbeit mit Philip Glass.
Georg Degenhardt setzt Sounds mit vielerlei Schlagwerk, afrikanischen und persischen Flöten: Live-Samples, verankert unter anderem in klassisch persischer Musik.
Im Gerätepark von Thomas Kleinschmitt (Stromklang) finden sich unter anderem Döpfer-Module (Dieter Döpfer hatte zusammen mit Kraftwerk MIDI Analog-Sequenzer entwickelt) oder das Neuronium, nur etwa vierzig Mal gebaut, aber unendliche Möglichkeiten bietend zum Generieren von Sequenzen; Speichereinstellungen bietet das Neuronium keine, so eröffnen sich jedes Mal neue Klangwelten, und die deneb-Sessions können auch soundmäßig praktisch nie an einen gleichen Punkt sich wiederholender Song-Standards zurückkehren.
Tobias Ott (Klangstrom) verknüpft – etwa die 16 Zählzeiten analoger Sequencer und die ihnen entsprechenden 16 in der klassisch nordindischen Musik (Er hatte Tabla in Kalkutta und Ghatam in Bangalore studiert); auch MusikerInnen und besondere Orte, von denen aus sich Soundscapes ausbreiten. Für die deneb-Sessions war es das Heimstudio in einem mittelalterlichen Haus in Seekirchen und der Außenposten in Muggia: Kapitänsbrücke mit Blick über die Bucht und auf die Lichter des Triester Hafens. Zufall: Die Schlepperboote sind nach Sternen benannt, eines davon heißt Deneb, wie der hellste Stern unserer Milchstraße im sichtbaren Licht.
Soweit zur Frage, wo die Hausmusik von deneb daheim ist: Space is the place

Zwölf Momente aus dem Fluidum der Sessions zwischen Seekirchen und Muggia sind eingefangen im Album Cosmic Comics. Es ist ein All-Bumm – so Gudrun. In den frei flottierenden Improvisationen hallt ein gewaltiges Dub-Echo nach, wie der expandierende Klang-Kosmos früher On-U-Sound-Platten. Sound-Wiedergänger von Kraut und Klassik, Indien und Iran sammeln sich wie bei den frühen, geräuschreichen African Head Charge zu tragendem Groove. Gudruns Gesang ist, wie die Musik, die improvisatorische Neuerfindung des Moments – verdichtet sich zu Fado (portugiesisch) oder Chanson (französisch), je nachdem welche Sprache den richtigen Sound zum Moment bringt.

Selten einen so klaren, gleichzeitig fetten Sound gehört wie bei deneb live. Jede Feinheit zeichnet sich im dichten Klangraum ab. Die vier Mischpulte machen Live-Auftritte aufwändig und selten; sie sind aber keine prätentiöse Technikverliebtheit, sondern Notwendigkeit für einen Sound, der mit kalter Präzision als warmer Schauer daherkommt. Freeflow-Jazz dockt an bei der Menschmaschine, Schaltkreise gleich Synapsen, und die massigen, im Bauch klingenden Bässe schlagen eine swingende Brücke zu King Tubby und zu Lee Perrys Black Ark: Groove passiert hier auf einer ganz anderen, tieferen Ebene denn mit Niederrhytmisieren im Eins-Zwo-Drei-Vier-Takt, der so viel Elektronik-Zeugs am Markt zur Marschmusik macht.
Das organische Wachsen des deneb-Sounds aus dem Hier und Jetzt hat auch das Zeug für den großen Pop-Auftritt: Die Vocal-Performance von Gudrun ist so dicht und fesselnd, dass die finstersten Spielarten von TripHop dagegen lululauwarm anmuten.

Der Kosmos, in dem deneb entstanden ist, hat zuvor schon starke musikalische Signale gesendet und immer über Grenzen hinausgewiesen. Tobias und Thomas hatten gemeinsam bei Shruti Box gespielt, und das Album von Spaceport Orchestra of Benares, The Ganesh Beat Club Sessions, war ein vielversprechender Mix aus Dub, Tabla, Film-Sound-Schnipsel, Mozarts Requiem…
Mein erstes Andocken an die Crossroads von Dub, Weltmusik und Krachenlassen im oberbayrischen Rupertiwinkel war in den späten Neunzehnneunzigern eine Performance bei einem Fest im Oberstock des Hofbräuhaus Traunstein, in einer Wohngemeinschaft mit angrenzendem brachliegendem Festsaal samt Bauerntheater-Bühne. Tobias, Thomas und Mitmusiker gaben in einem kleinen Raum ein konzentriertes Musikprogramm mit MIDI und Küchengeräten, und über allen schwebte der Psylocopter, ein hypnotisches Fluggerät. Hier waren Leute ganz unprätentiös bei der Arbeit, den Musikbegriff auszuweiten, ohne verkrampftes oder witzelndes Zur-Schau-Stellen von Avantgardewollen.
Ein Proberaum des Kollektivs lag damals im bayrischen Hammerau am Grenzfluss Saalach. Der Industrial-Dub von On-U-Sound und WordSound passte offensichtlich viel besser zu dem Ort, als Weite-Welt-Musik durch den Landidyll-Filter zu jagen: In Hammerau steht das älteste noch produzierende Stahlwerk Europas, in den fünfziger Jahren baute sich der Firmenpatriarch eine glamouröse Villa. Neben automatischen Türen und der größten Spielzeugeisenbahn Europas hatte das Anwesen auch einen Ein-Personen-Atombunker fürs Familienoberhaupt.
Die gefühlt größte, fein sortierte Kabelsammlung Europas ward an einer weiteren Station von Tobias Otts Nomadologie gesehen: Über einer Demeter-Bäckerei in Anger war sein und Thomas Kleinschmitts Maschinenpark samt Synthesizern, Vibraphon, Daumenklavieren, Geigen. Unweit davon, auf dem Höhenzug des Högl, steht das Baamhakke, seit den Achtzigern eine Mischung aus Disco, Musikcafé, Wirtshaus, Bauernhof und Umschlagplatz für neue musikalische Ideen; Tobias Ott hatte dort eine Zeit lang einen Schuppen bewohnt.
In deneb zeigt sich jetzt die Frucht eines Myzels, das sich über Jahre in das Mark von indischer, persischer und europäischer Klassik, von Minimal Music, Jazz und Dub ausgebreitet hat. Und die Loops werden sicher noch weitere, viel weitere Kreise ziehen.

(Mario Jandrokovic)

 

 

Interview mit Gudrun zu deneb auf Radio FRO

 

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